Vor etwa einer Woche nahm sich der Regisseur Tony Scott (Top Gun) das Leben. Ebenfalls vor einer Woche sah ich im amerikanischen Fernsehen Werbung für Fast-Food-Restaurants. Diese Werbespots erinnerten mich nicht nur an Scotts Filme, sondern riefen in mir auch Assoziationen zu Pornografie wach.
Nehmen wir zum Beispiel den obigen Werbespot. Darin wird das Essen in einer Weise inszeniert, die viele Ähnlichkeiten mit jener Hochglanzästhetik aufweist, wie sie (unter anderem) in der Pornografie üblich ist. Bei 0:18 geht es los: Das Licht ist perfekt und bringt übernatürlich satte Farben hervor. Jede einzelne Oberfläche ist makellos. Die Hähnchenstücke werden spielerisch durch die Gegend geworfen oder dampfen, so heiß sind sie. Die Kamera fährt langsam und genüsslich über die leckersten Stellen, damit wir sie in Großaufnahme bewundern können.
Noch deutlicher wird der Effekt im zweiten Spot. Ab 0:10 werden einem die sexuellen Anleihen regelrecht ins Gesicht geklatscht. Alles ist glänzend feucht, die Säfte quellen über. Der laszive Gesamteindruck wird durch den Einsatz von Zeitlupe noch verstärkt.
Ein weiteres Beispiel von einer anderen Fast-Food-Kette. Interessant ist, wie frappierend die Optik des Fleischstücks auf dem Grill (bei 0:16) der entsprechenden Szene im zweiten Spot gleicht.
Selbst Tierfutter wird mit solchen Mitteln „schmackhafter“ gemacht. In diesen Werbespots geht es wie im Porno letztendlich darum, Fleisch aus nächster Nähe und mit hohem Detailgrad abzubilden. Der Körper, zu dem das betrachtete Fleischstück gehört(e), ist nebensächlich. Taucht doch einmal ein ganzer Körper auf, dann in einer sexualisierten Art und Weise, wie z.B. im obigen Katzenfutter-Clip, oder in diesem Klassiker des schlechten Geschmacks:
Bei den letzten beiden Clips ist außerdem die sinnliche, anregende Musik zu beachten. In einem Pornofilm würden diese Songs nicht störend auffallen.
Interessanterweise lassen sich sogar Werbespots finden, in denen diese pornografisierte Art und Weise der Darstellung nicht auf Fleisch, sondern auf Gemüse angewendet wird. Im folgenden Clip finden sich die meisten der oben identifizierten Elemente wieder (ab 0:10): die Zeitlupe, die Feuchtigkeit, die satten Farben, die den Salat knackiger aussehen lassen, als echter Salat jemals sein wird.
Echter als echt – an dieser Stelle schließt sich der Kreis zu Tony Scott, dem verstorbenen Regisseur. Auch seine Filme zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine überästhetisierte Realität abbilden, die man so nirgends finden kann. Scotts Bilder sind „larger than life“. Er nutzte Licht und Farben ganz gezielt dazu, um einzelne Szenenbilder so dramatisch wie möglich zu gestalten. Oft verwendete er Rauch, Dampf oder Schattenrisse, ließ Ventilatoren im Hintergrund kreisen oder Licht schräg von oben in die Szene einfallen, um unwirklich schöne Räume darzustellen. Im Trailer zu Top Gun aus dem Jahr 1986 ist dies am besten ab 1:40 zu beobachten.
Wichtig für die Wirkung von Scotts Filmszenen ist nicht nur das Visuelle, sondern oft auch die Musik, mit der eine sinnliche oder aufpeitschende Wirkung erzielt oder verstärkt wird. Zum Teil wurden die Songs aus seinen Filmen selbst zu Hits und sind es noch: Take my Breath Away von Berlin hat fast 20 Millionen Views bei Youtube.
(Eine weitere Anleihe an das Porno-Genre ist übrigens Goose‘s Schnauzbart, der sogenannte Pornobalken. Dieser dürfte allerdings weniger der Tatsache geschuldet sein, dass Scott für seine Inszenierung Anleihen im Erotikregal suchte, sondern eher der vorherrschenden Mode Mitte der Achtziger.)
Extrem wurde Scotts Ästhetik im Film Domino. So gut wie jede Szene sieht echter als das echte Leben aus. Licht- und Farbgestaltung sind hyperrealistisch und bersten vor Effekten. Auch die Kamera steht kaum noch still, sondern ist ständig in Bewegung.
Scott verwendete diese Stilmittel intensiv und führte viele davon in den Mainstream ein. Wie einflussreich seine Ästhetik war, kann man heute an Filmen von Michael Bay oder Nicolas Winding Refn sehen – oder eben an Werbespots für Fast Food.