Tony Stark, der Playboy – Natascha Romanoff, die Schlampe

Das Internet ist mal wieder auf dem Kriegspfad: Weil die Schwarze Witwe im neuen Avengers-Film so schlecht wegkommt, ist die Netzgemeinde sauer und lässt ihren Frust an Regisseur Joss Whedon aus; Todesdrohungen inklusive. Wie nicht anders zu erwarten war, steht jetzt der Shitstorm im Fokus und nicht mehr das eigentliche Problem: dass das Marvel-Kino-Universum von sexistischer Kackscheiße durchdrungen ist.

Sogar Hawk-Eye kriegt eine Actionfigur. Hawk-Eye! (Quelle: https://twitter.com/HeroicGirls/status/595439959273791488)

Marvels Sexismus beschränkt sich nicht nur auf die Filme an sich mit ihren zig Filmtrilogien über Testosteron-strotzende Männerfiguren und noch keinem einzigen Film mit einer Frau in der Hauptrolle (ein Film über Captain Marvel ist in Planung; er würde der zwanzigste (!) Film im Marvel-Universum werden). Nein, der Trend setzt sich auch jenseits der Leinwand fort, etwa in den Bemerkungen, die männliche Avengers-Schauspieler über Scarlett Johanssons Filmfigur vom Stapel lassen oder durch den eklatanten Mangel an Black-Widow-Merchandise.

Und wenn Marvel doch noch einen Schwarze-Witwe-Film produzieren würde, sähe er vermutlich so aus.

Eine sehr gute (englische) Zusammenfassung der ganzen Marvel-Misere findet sich auf io9.

Die Sache ist die: Das Problem der Unterrepräsentation von Frauen in den Drehbüchern kann ich nachvollziehen. Denn mir als Autor ist derselbe Fehler auch schon unterlaufen.

Wie immer heißt „Problem nachvollziehen“ nicht, dass ich sexistische (Dreh)Bücher billige oder gar gutheiße. Ich bringe damit lediglich zum Ausdruck, dass ich zu wissen glaube, was die häufigste Ursache für derartigen Sexismus ist – und zwar Nachlässigkeit.

Als gut bezahlter BILD-Redakteur ist gut schimpfen. (Quelle: wolfwetzel.wordpress.com)

Es ist eine ebenso simple wie knifflige Wahrheit, dass es sehr leicht ist, Probleme zu ignorieren, die man selbst nicht hat. Ob im Kleinen oder Großen, das Schema ist immer dasselbe: Zweimetermenschen interessieren sich nicht für Trittleitern, weiße Amerikaner müssen keine Angst vor polizeilichen Alltagsrassismus haben und diejenigen, die am lautesten über Hartz-IV-Empfänger schimpfen, haben in der Regel eine gut bezahlte Arbeitsstelle. „Not macht erfinderisch“ heißt im Umkehrschluss, dass wer keine Not leidet, sich auch keine Gedanken über Verbesserungen zu machen braucht.

Mit dem Sexismus verhält es sich genauso. Für Männer ist es leicht, all die kleinen und großen gesellschaftlichen Ärgernisse zu ignorieren, mit denen frau sich ihr ganzes Leben lang herumschlägt: weniger Gehalt für gleiche Arbeit, unrealistische Schönheitsideale, mangelnde Identifikationsfiguren, gegendertes Spielzeug, Anmache und Übergriffe im Alltag und Beruf (gerne auch mit dem Vorwurf gepaart werden, die Frau hätte den Mann durch ihre aufreizende Kleidung erst proviziert), um nur eine Handvoll zu nennen.

Als Autor bin ich nicht nur Teil dieser Gesellschaft. Dadurch, dass ich sie beschreibe, gestalte ich sie mit. Meine Bücher sind ein Mosaikstein der Erfahrungswelt meiner Leser; nur ein winziger, aber immerhin. Genau wie Fernsehen, Journalismus, Werbung, Filmen etc. existieren auch meine Romane nicht in einem Vakuum. Durch sie stelle ich die Welt um uns herum dar, bilde sie ab, forme sie neu. Ich kann bestimmte Aspekte der Realität verstärken, abschwächen oder ganz weglassen. Unter anderem habe ich dadurch die Macht, existierende Stereotypen aufzubrechen – oder sie zu vertiefen.

Ich denke dabei zum Beispiel an das Verhältnis zwischen meinen männlichen und weiblichen Romanfiguren. In manchen meiner früheren Bücher kommen viel mehr Männer als Frauen vor. Mittlerweile achte ich heute darauf, dass der Frauenanteil in meinen Romanen mindestens die Hälfte beträgt, idealerweise mehr. Denn wenn ich das nicht aktiv tue, überwiegen automatisch die Männer. Das ist keine böse Absicht, sondern hat damit zu tun, dass wir alle dazu neigen, Personen zu bevorzugen, die uns ähnlich sind. Aus diesem Grund übrigens nominieren männlich geprägte Aufsichtsräte überwiegend Männer als neue Mitglieder, und Kinder von Arbeitern werden von ihren Lehrern seltener für das Gymnasium vorgeschlagen als die von Akademikern.

Die selbst auferlegte Frauenquote in meinen Büchern hatte z.B. bei Amoralisch einige Änderungen zur Folge. Unter anderem waren die Schuldirektorin und die Wissenschaftlerin in den Protagen-Labors ursprünglich männlich. Ich habe sie nachträglich zu Frauen gemacht, um dem Männerüberhang zu begegnen.

Diese Parität zwischen den Geschlechtern versuche ich auch und gerade in Bezug auf die Wichtigkeit der Figuren zu erhalten. Ich hätte nichts erreicht, wenn mein Roman voller Frauen wäre, die alle nur am Rande vorkommen, während alle wichtigen Rollen von Männern besetzt sind.

Womit wir wieder bei Avengers: Age of Ultron wären. Ich habe den Verdacht, dass die Verantwortlichen vor allem Männer sind, die ihre eigene Befangenheit nicht hinterfragen (und die zudem kein Gespür für gesellschaftspolitische Trends haben). Aber das ist nur eine Vermutung; letztendlich spielt es aber keine Rolle, ob der Marvel-Sexismus Methode hat oder ein ungewolltes Nebenprodukt männlicher Privilegien ist. Im Brunnen liegt das Kind trotzdem.

In ganz Hollywood war kein einziger Schauspieler aus der Gemeinschaft der amerikanischen Ureinwohner zu finden, der Tonto spielt? (Screenshot aus „Lone Ranger“, Quelle: tvspielfilm.de)

Dabei ist es nicht so, dass die Marvel-Filme die einzigen wären, in denen Sexismus, Rassismus etc. grassieren, sondern sie stehen eben gerade im Fokus. Andere Beispiele: In Lone Ranger wird der amerikanische Ureinwohner Tonto nicht von einem amerikanischen Ureinwohner gespielt, sondern von Johnny Depp. Derweil kehren indianische Schauspieler Adam Sandler aufgrund von rassistischen Bemerkungen gleich ganz den Rücken. In Child 44, einem Film vor dem Hintergrund von Stalins Sowjetunion, spielt kein einziger Russe mit. Als der erste Hunger-Games-Film in die Kinos kam, empörten sich Tausende darüber, dass die Rollen von Rue und Thresh mit schwarzen Schauspielern besetzt wurden, obwohl beide Figuren in der Romanvorlage eindeutig als schwarz beschrieben werden. In gleich zwei Filmen des letzten Jahres, dem Lego-Film und Edge of Tomorrow, wird eine starke und fähige Frau in eine Nebenrolle mit Romanze gepresst, während der ahnungslose, aber dafür männliche Held das ganze Rampenlicht bekommt. Und so weiter und so fort; die Liste nimmt kein Ende.

Zum Glück ist es nicht schwer, solche Fallstricke zu vermeiden. Die Lösung lautet: hin und wieder über den Tellerrand schauen. Zuhören (als Mann), wenn Frauen über ihre Erfahrungen mit Sexismus sprechen. Lesen (als Weißer), was Roxane Gay über das Leben als schwarze Intellektuelle schreibt. Sich dafür interessieren (als Hetero), mit welchen Problemen sich homosexuelle Menschen herumschlagen müssen. Denn ein Korollar der Goldenen Regel lautet ungefähr so:

Ein gesellschaftlicher Missstand ist nicht egal, nur weil du selbst nicht davon betroffen bist, du egoistischer Spacken.

Schritt zwei ist dann, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten zur Lösung des Problems beizutragen. Für Filmemacher, Autoren etc. heißt das unter anderem, dass in den eigenen Geschichten nicht nur weiße heterosexuelle Männer vorkommen sollten, denn dadurch ergibt sich kein repräsentatives Abbild der Gesellschaft. Jeder zweite Mensch ist eine Frau. 9,5% der in Deutschland lebenden Menschen sind Nichtdeutsche. Und laut Kinsey-Report sind nur 50% der erwachsenen Männer ausschließlich und zu jeder Zeit heterosexuell. Es ist eine gute Übung, sich regelmäßig zu fragen, wie hoch der jeweilige Anteil im eigenen Werk ist.

Zum Schluss noch Schritt drei, der eigentlich Schritt null sein sollte: Wenn du schon nicht zur Lösung des Problems beiträgst, dann mach es wenigstens nicht noch schlimmer – etwa indem du Tony Starks Promiskuität als Playboy-Mentalität verkaufst, während die Schwarze Witwe sich nur bei dem Verdacht von mehr als einer Beziehungskiste als Schlampe titulieren lassen muss. Und schon gar nicht sollst du eine spannende und ambivalente Figur wie Natascha Romanoff darauf reduzieren, was mit ihrem Uterus los ist.

So schwer ist das doch wirklich nicht …

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2 Gedanken zu „Tony Stark, der Playboy – Natascha Romanoff, die Schlampe

  1. Lasse ich so nicht stehen! Fast die Hälfte aller Captain Marvel Inkarnationen waren weiblich und die aktuelle in den Age of Ultraon Comics ist auch eine Frau.

    1. Richtig, Captain Marvel soll im geplanten Film von einer Frau gespielt werden. Deswegen nenne ich ihn ja auch als das einzige zumindest halbwegs positive Beispiel, als den einzigen Film, der sich um eine Frau dreht. Falls er tatsächlich wie geplant erscheint, wird er den Frauenanteil im Marvel-Universum auf 5% heben.

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