Das Internet – unendliche Weiten. Es macht mir die Arbeit so viel leichter (Recherche) und so viel schwerer (Prokrastination). Es birgt ungeahnte Gefahren, zum Beispiel Schadprogramme, Regel 34 und Shitstorms. Von letzteren bin ich bislang zum Glück verschont geblieben, und falls mich je einer treffen sollte, biete ich immerhin einen Angriffspunkt weniger als viele andere – ich bin keine Frau.
Wie es ist, als Frau im Netz in den zweifelhaften Genuss hasserfüllter Aufmerksamkeit zu kommen, erlebt zurzeit (unter anderem) Anita Sarkeesian. Sie ist eine feministische Bloggerin, die sich mit Frauenfiguren in popkulturellen Medien beschäftigt. Ihre überaus sehenswerte Videoreihe Tropes vs. Women beschäftigt sich damit, wie Frauen in populären TV-Serien, Comics und der Werbung dargestellt werden und warum es wichtig ist, herabsetzende Frauendarstellungen zu kritisieren.
Sie sagt, dass sie schon lange mit Kritik zu kämpfen hat, die sich nicht auf ihre Aussagen und Meinungen bezieht, sondern auf die Tatsache, dass sie eine Frau ist. Diese Angriffe stammen meistens von Männern und enthalten üblicherweise die Worte „Küche“ und „Sandwich“. Anita ignorierte diese Angriffe, so gut es ging.
Mitte des Jahres startete sie dann einen Aufruf auf Kickstarter. Darin bat sie um 6.000 Dollar Spendengeld für die Produktion ihrer neuen Videoreihe über Frauenbilder in Videospielen. In dem folgenden Video erklärt sie (zum Teil sichtlich bewegt), was dann geschah:
Um es kurz zu machen: Ein Cybermob aus fast ausschließlich männlichen Videospielfans rottete sich zusammen und griff Anita koordiniert auf allen verfügbaren Kanälen an. Sie bekam hasserfüllte, sexistische und obszöne Kommentare. Es wurde versucht, ihre Konten bei Youtube, Facebook und Twitter wegen Verdacht auf Betrug und Terrorismus sperren zu lassen. Man beschuldigte sie, ihre Kickstarter-Unterstützer zu betrügen. Jemand programmierte ein Spiel, in dem man sie per Mausklick verprügeln und ihr Gesicht in eine blutige Masse verwandeln konnte. Wenn man dieses Verhalten in die echte Welt übertragen wollte, müsste man sich eine tausendköpfige Menge vor Anitas Haus vorstellen, die im Chor „Stirb, du Nutte!“ ruft und dabei kübelweise Gülle und Aidsspritzen in ihren Garten kippt.
Mysogynie, also die Verachtung von Frauen aufgrund der Tatsache, dass sie Frauen sind, ist gerade in der Gamer-Szene bedrückend weit verbreitet. Selten kommt sie so direkt daher wie in Anitas Fall. Oft ist sie verhuscht, so wie in diesem Artikel, in dem eine Videospielerin die testosteronschwangere Szene der Prügelspiele in Boston erkundet. Oder es handelt sich um Spieleentwickler, die nicht begreifen, dass sie das Problem mitverursachen, wenn sie eine einsteigerfreundliche Spielfigur als „girlfriend mode“ beschreiben. Wenn ich solche Geschichten und die lächerlichen Rechtfertigungsversuche der daran beteiligten Männer lese, schäme ich mich für mein Geschlecht.
Zurück zu Anita. Gestern kochte der Hass gegen sie erneut hoch, als dieser Text auf Reddit verlinkt wurde. Reddit ist ein Link-Aggregator, dessen Einträge umso populärer werden, je mehr Nutzerklicks sie erhalten. Anita erregt die Gemüter derart, dass die Kritik an ihr in drei Stunden an die Spitze der heißen Themen schoss und in einem Tag fast 3.000 Kommentare sammelte.
Neben diversen offen feindseligen und beleidigenden Äußerungen sind erstaunlich viele darunter, die Anita Sarkeesians Anliegen argumentativ zu widerlegen suchen. Ich habe die häufigsten Kritikpunkte aus der Diskussion bei Reddit zusammengetragen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).
Sie hat kein Recht, für ihre Arbeit Geld zu verlangen.
Das ist mindestens diskutabel; es gibt viele Publizisten oder Künstler, die sehr wohl dafür bezahlt werden, dass sie Beiträge zu gesellschaftlichen Debatten leisten (Helmut Schmidt fällt mir ein). Abgesehen davon verlangt Anita kein Geld, sie bittet um Spenden. Das ist ein entscheidender Unterschied. Niemand ist gezwungen, sie zu unterstützen.
Warum bittet sie überhaupt um Spenden? Ihre alten Videos hat sie auch umsonst angeboten.
Wer einmal ein Werk umsonst angeboten hat, darf also niemals wieder Honorar für neue Werke verlangen? Dann müsste ich auch all meine zukünftigen Bücher verschenken, weil die Texte in meinem Blog frei zugänglich sind. Ich bin gespannt, was mein Verleger dazu sagt. Ansonsten siehe oben: Wer nicht glauben mag, dass die Produktion von guten Videos Geld kostet, der braucht nicht zu spenden. Ende der Diskussion.
Sie soll die Kritik abschütteln und nicht immer die Opferkarte spielen. (Eine Variante dieses Arguments lautet: Wir alle werden im Netz mit Dreck beworfen, Anita Sarkeesian ist die einzige, die sich deswegen aufregt.)
Das ist ein perfider Vorwurf, weil er die Beweislast umkehrt: Anstatt die Vorwürfe gegen sie zu begründen, soll Anita erst einmal erklären, warum sie glaubt, darauf reagieren zu dürfen. Der Begriff „Opferkarte“ dient dem Zweck, den anderen davon abzubringen, die Missstände öffentlich zu machen (ganz ähnlich wie „Petze, Petze ging in’n Laden“). In diesem Fall ist er doppelt absurd, denn Anita hat sich gerade nicht als Opfer inszeniert. Wie oben beschrieben, nahm sie die frauenfeindlichen Kommentare zu ihrer Arbeit jahrelang hin, ohne darauf einzugehen.
Sie ist gar keine Gamerin. (Variante: Sie hat keine Qualifikation, über Videospiele zu sprechen, weil sie nie in der Gamingindustrie gearbeitet hat.)
Selbst wenn Anita noch nie zuvor ein Videospiel gesehen hätte, könnte sie sehr wohl in der Lage sein, sich klug und fundiert darüber zu äußern. Tatsächlich spielt sie, seit sie zehn ist. Der Vorwurf ist also schlichtweg gelogen. Und seit wann braucht man ein Gaming-Diplom, um sich über Videospiele äußern zu dürfen? Ich habe weder einen Abschluss vom DLL Leipzig, noch in einem Verlag gearbeitet. Trotzdem wäre es absurd zu sagen, deshalb dürfe ich keine Bücher schreiben.
Sie ist keine Feministin. (Variante: Sie ist keine echte Feministin, weil sie sich selbst als solche bezeichnet.)
Genau, denn wer wüsste Feministinnen besser zu identifizieren als ein Haufen weißer junger Männer? Dieses „Argument“ ist gleichzeitig ein No-true-Scotsman-Trugschluss und ein Angriff ad hominem. Der Zweck ist es, Anita die Berechtigung abzusprechen, sich zu medialen Darstellungen von Frauen zu äußern, oder anders ausgedrückt: sie zum Schweigen zu bringen.
Videospiele sind nicht mysogyn, sondern sexistisch. Sie mögen zwar frauenfeindliche Darstellungen enthalten, aber Männer werden darin häufig als muskelbepackte Klötze abgebildet, und das ist ebenso männerfeindlich.
Wahr ist, dass auch die Darstellung von Männern in Videospielen Anlass zur Kritik bietet. Aber wenn Spiele so männerfeindlich sind, warum torpedieren Anitas Kritiker dann ihr Projekt, anstatt die Videoreihe „Tropes vs. Men in Video Games“ zu drehen? Abgesehen davon ist Sexismus nicht die Entsprechung zu Mysogynie; das wäre Männerfeindlichkeit. Und schließlich ist das Argument schlicht falsch: Man muss nur die Kostüme und Körperhaltung von männlichen und weiblichen Superhelden vergleichen, um zu sehen, dass Frauen schlechter wegkommen.
(Quelle: thecolourfulway.tumblr.com)
Falls du ein Mann bist und glaubst, dass die Herabsetzung von Frauen so schlimm nicht sein kann, mach bitte folgenden Test: Wenn du eine Frau wärst, als welche popkulturelle Heldin würdest du dich für eine Kostümparty verkleiden wollen? Wir Männer haben Dutzende von Figuren zur Auswahl, von Batman über Darth Vader bis hin zu Master Chief. Als Frau muss man dagegen mit der Lupe suchen, um eine Heldin zu finden, die in Sachen Coolness, Fähigkeiten und Bekanntheitsgrad mit männlichen Figuren mithalten kann. Mir fällt spontan ein: Buffy. Das war’s. Wer noch Ideen hat, bitte her damit.
Sie hat ihre auf Kickstarter versprochenen Videos nicht abgeliefert, was beweist, dass sie die Spender abzocken wollte.
Das ist üble Nachrede. Anita berichtet auf ihrem Blog regelmäßig über den Fortschritt ihres Projekts. Nachdem sie aufgrund der Ereignisse (sprich: des Shitstorms) ins Rampenlicht geriet, gab sie diverse Interviews und sprach auf Veranstaltungen, wodurch sich die Produktion ihrer Videos verzögert. Im Klartext heißt das, dass genau die Leute an der Verspätung schuld sind, die sich jetzt darüber beschweren.
Männer können Anita Sarkeesian gar nicht mehr kritisieren, ohne sofort als mysogyn dargestellt zu werden.
Das ist eine unbelegte Behauptung. Ironischerweise wird darin genau jene Opferkarte gezückt, für die Anita an anderer Stelle angegriffen wird.
Eine Variante dieses Arguments besteht darin, die Männer anzugreifen, die Anita verteidigen (ja, es gibt sie) und sie als „white knights“ lächerlich zu machen. Man beachte auch, dass bereits im Titel des Reddit-Eintrags darauf hingewiesen wird, dass die verlinkte Kritik von einer Frau verfasst wurde, so als hinge die Stichhaltigkeit der geäußerten Argumente vom Geschlecht des Autors ab.
Sie ist zur Hauptstimme aller Frauen geworden, die in der Gaming-Industrie mit Sexismus und Frauenfeindlichkeit zu kämpfen haben, dabei hat sie diesen Status überhaupt nicht verdient.
Das ist ein Versuch, Frauen gegen Anita aufzubringen. Inhaltlich ist er hinlänglich albern: Wenn eine Person, die eine solch gigantische Menge an Hass und Galle ertragen musste, nicht die richtige sein soll, um über diese Erfahrung zu sprechen, wer dann? Sicher ist außerdem, dass Anita sich nicht in den Vordergrund gedrängt hat, denn sie war keine Unbekannte, als sie ins Zentrum des Scheißetornados geriet. Ihre Videos sind seit Jahren online, haben zum Teil sechsstellige Klickzahlen. Trotzdem hielt es lange Zeit niemand für nötig, sie in diesem Ausmaß anzugreifen. Gibt es Frauen, die schlimmere Anfeindungen aus der Gamerszene ertragen mussten? Ich gehe stark davon aus (eine bedrückende Vermutung), aber das schmälert nicht Anitas Erfahrungen.
Keines dieser Argumente ist stichhaltig. Doch in ihrer Menge und der Vehemenz, mit der sie vorgetragen werden, bestätigen sie auf eindrucksvolle Weise, wie recht Anita Sarkeesian hat: Ihren Gegnern ist nicht daran gelegen, eine vernünftige Diskussion über Frauenfeindlichkeit in Videospielen zu führen; sie wollen sie lediglich zum Schweigen bringen. Wie groß die besagte Vehemenz ist, kann man unter anderem auch daran sehen, dass die Kommentare unter dem Video, in dem sie über ihre Erfahrungen spricht, einen Tag später geschlossen werden mussten, weil man der vielen Beleidigungen nicht mehr Herr wurde.
Einne besonders erhellenden Kommentar liefert ein Redditor namens sammythemc. Auf die Frage, warum nur Anita Sarkeesian so viel Hass abbekommt, obwohl sie nicht die einzige ist, die im Netz eine unbeliebte Meinung vertritt, antwortet er:
It’s easy to be for free speech you agree with, and it’s also easy to be for free speech you don’t agree with that is also completely impotent. But speech you don’t agree with that actually has some potential to change things (or is emblematic of changes that are already happening) is scary. The reaction has it’s genesis in misogyny, but the severity of that reaction is due to her ideology’s visible success in the face of all the vitriol. It’s actually kind of encouraging when I think about it like that.
Jeder Diktator würde das sofort unterschreiben: Meinungsfreiheit ist toll, so lange die geäußerten Meinungen nicht zu Veränderungen führen; dann ist sie plötzlich gar nicht mehr so toll, sondern flößt Angst ein. Dabei sind natürlich nur Veränderungen gemeint, die dem Betreffenden missfallen, ihm und der schweigenden Mehrheit, die er grundsätzlich hinter sich glaubt. Das ist jedoch keine Meinungsfreiheit mehr, sondern Totalitarismus.
Doch es gibt Grund zur Hoffnung. Selbst ein Neandertaler wie sammythemc kann nicht mehr übersehen, dass die Angriffe auf Anita gleichzeitig ihr Ritterschlag sind: Dass sie derart heftig attackiert wird, liegt offenbar daran, dass die männlichen Gamer spüren, wie gefärhlich diese Frau der bequemen Selbstherrlichkeit werden kann, in der sie sich seit Jahrzehnten eingerichtet haben.
Für mich ist das einer von zwei Beweisen, dass Anita in der Tat dabei ist, die Gamerszene zum Besseren zu verändern. Der andere Beweis: Als der Streit um ihr Kickstarter-Projekt hochkochte, versammelten sich nicht nur ihre Gegner, sondern auch Unterstützer. Am Ende kamen nicht nur die gewünschten 6.000 Dollar zusammen, sondern das 25-Fache – sie hat nun mehr als 150.000 Dollar zur Verfügung, um mit ihren Videos gegen die Diskriminierung von Frauen in Videospielen zu kämpfen.
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