Als ich wiederkehrte,
war mein Haar noch nicht grau.
Da war ich froh.
Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns.
Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.
Bertolt Brecht richtete diese Worte ursprünglich an die Kriegsheimkehrer und -flüchtlinge. Ich hingegen muss an sie denken, wann immer ich dieser Tage eine beliebige Nachrichtenseite aufrufe und von den jüngsten Vorstößen lese, die hart erkämpften Rechte und Freiheiten unserer Gesellschaft auszuhöhlen.
Ob in Guantànamo an der Ächtung der Folter gerüttelt wird, in Davos an der Mitbestimmung des Volkes oder seitens von de Maizière und Co. am Recht auf vertrauliche und sichere Kommunikation, das Muster ist immer das Gleiche. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht ein Recht, das die Macht aus den Händen weniger in die Hände aller verlagerte. Dies mag das Recht auf politische Mitbestimmung sein, auf körperliche Unversehrtheit, Schutz der Privatsphäre, eine faire Gerichtsverhandlung oder auf etwas anderes, das uns heutzutage als selbstverständlich erscheint. Natürlich will niemand diese Rechte abschaffen, zumindest nicht offiziell. Stattdessen sollen sie lediglich beschnitten werden, Stück für Stück, zum Schutz vor Terrorismus oder Kinderpornographie oder Steuerflucht, und das solange, bis nichts mehr davon übrig ist. Die Salamitaktik der Unfreiheit.
Keines dieser Rechte war einfach da. Sie fielen nicht vom Himmel, sondern wurden gegen den Widerstand derer erkämpft, die vom Status Quo profitierten. In diesem Status Quo entschied nicht das Individuum über das eigene Schicksal, sondern eine kleine Elite: Zaren, Kaiser, Diktatoren; Sklavenhalter, Großindustrielle, TTIP-Anwälte; Geheimdienste, Boko Haram, der Vatikan
Menschenrechte zu erstreiten ist eine noble Sache. Nicht umsonst werden Menschen wie Gandhi, Nelson Mandela oder Martin Luther King verehrt und ihr Andenken bewahrt. Sie sind die Pioniere der Freiheit, die Bergsteiger einer friedlichen Moderne.
Leider liegt es in der Natur des Menschen, dass wir uns an alles gewöhnen, wie aufregend oder großartig es uns früher auch vorgekommen sein mag. Menschenrechte bilden keine Ausnahme. Dass man heute in den meisten Teilen der Welt keine Angst haben muss, von der Obrigkeit gefoltert oder misshandelt zu werden, ist an Bedeutung kaum zu überschätzen. Trotzdem ist es für viele von uns eine banale Gewissheit. Wer nie ohne diese Sicherheit gelebt hat, dem fällt es schwer, sie angemessen zu würdigen.
Schon immer war es spannender, etwas Neues zu erschaffen, als das Bestehende zu bewahren. Das ist nicht nur die Quintessenz von Interstellar, sondern auch der Grund für die Lethargie, mit der die Welt auf all die Ungeheuerlichkeiten reagiert, die vermeintlich rechtsbewusste Staaten neuerdings verüben: gezielte Tötungen, „erweiterte Verhörmethoden“,das Aufweichen kryptographischer Standards, Zufallskontrollen, bei denen rein zufällig vor allem Schwarze oder Araber ausgewählt werden und dergleichen mehr. Dabei ist die Verteidigung eines Rechts nicht weniger wichtig als die Bestrebungen, es geltend zu machen. Egal, welche dieser Aufgaben nicht erfüllt wird, das Recht ist in beiden Fällen futsch.
Um ein neues Recht zu erstreiten, muss man die Mühen der Berge auf sich nehmen. Wer das Erstrittene bewahren will, auf den warten dagegen die Mühen der Ebenen: Alltagstrott, Klein-Klein, jeden Tag aufs Neue. Es ist das Gegenteil von Glamour.
Es war selten wichtiger als heute.