Im Winter 2009/2010 verbrachte ich viele, viele Stunden vor der Playstation und spielte Dragon Age: Origins. Gefesselt hat mich das Spiel nicht nur, weil die Spielwelt so lebendig und vielfältig ist, sondern vor allem wegen der Figuren, denen man im Spiel begegnet.
Meine Mitstreiter und Gegenspieler in DA:O sind vielschichtig und widersprüchlich, fehlerbehaftet und liebenswert und grausam und vieles andere mehr. Vor allem aber haben sie nachvollziehbare, glaubwürdige Motivationen, warum sie so handeln, wie sie handeln. Selbst wenn sie Taten verüben, die ich abscheulich finde, verstehe ich doch ihre Gründe dafür. Für Charaktere in einem Computerspiel kommen die aus Dragon Age realen Figuren sehr nahe.
Das Spiel erzählt eine gute Fantasygeschichte, bei der ich (bzw. meine Spielfigur) im Mittelpunkt stehe. Die Entscheidungen, die ich treffe, beeinflussen das Schicksal von Charakteren, die mir ans Herz wachsen und die ich doch das ein ums andere Mal enttäuschen muss, sei es, weil ich mich auf die Seite einer anderen Figur stelle oder weil ich ein Volk vor dem Untergang retten muss. Es gibt kaum einen besseren Weg, um jemanden in eine Geschichte hineinzuziehen, als ihn mit schwierigen Entscheidungen zu konfrontieren (vgl. This War of Mine).
Nach einem enttäuschenden zweiten Teil, den ich nach ein- oder zweimal Spielen nie wieder angefasst habe, ist nun Dragon Age: Inquisition erschienen. Ich habe es noch nicht gespielt, aber ich freue mich schon darauf wie ein Hobbit auf das zweite Frühstück. In der Zwischenzeit habe ich mit Genuss diesen Artikel in der taz gefunden, der die Geschichte von DA:I in Kontrast zu dem 1976 erschienenen Roman „Die Verwandlung“ setzt; Kingsley Amis beschreibt darin eine alternative Realität, in der es keine Kirchenspaltung gab und der Papst sich potenzieller Kandidaten durch Kastration erledigt. In beiden Geschichten geht es um die Macht der Kirche, um Auserwähltsein und die Aufgabe von Freiheit zugunsten der Sicherheit. Gerade das letzte Thema ist aktueller denn je, siehe Folterreport, Todeslisten und dergleichen mehr.
Besonders interessant ist für mich jedoch nicht der Artikel selbst, sondern die Tatsache, dass darin ein Computerspiel mit einem Roman auf Augenhöhe verhandelt wird, noch dazu mit einem „Klassiker der Science-Fiction“. Vor ein paar Jahren, zu Zeiten der Killerspiel-Debatten, wäre so etwas völlig undenkbar gewesen. Heute ist es ein weiterer Schritt auf dem Weg, an dessen Ende Computerspiele als vollwertiges kulturelles Medium gelten werden, so wie Bücher, Filme, Opern, Theaterstücke usw.
Und bis es so weit ist, rette ich einfach noch ein paarmal die Welt.