Archiv der Kategorie: vom Lesen

Gewalt? Keine Zeit, es gibt Tee

Viel wurde in den vergangenen Tagen und Wochen darüber geschrieben, wie dünn die Tünche der Zivilisation immer noch ist, Informationszeitalter hin oder her. Wie wenig geschehen muss, um anständige, rechstreue Bürger zu verbaler, struktureller oder physischer Gewalt anzustiften. Sie dazu zu bringen, rassistische oder sexistische Pöbeleien von sich zu geben, zu Zehntausenden gegen eine nicht existierende Bedrohung zu protestieren, Tausende Menschen vor den Toren Europas ertrinken zu lassen, Amtspersonen per Todesdrohung zu verjagen oder gar zu Brandstiftern zu werden.

Oftmals lassen sich diese Schandflecke auf dem Antlitz der Gesellschaft mit dem – im ästhetischen Sinn – schönen deutschen Wort „Besitzstandswahrung“ erklären. Uns in Deutschland und der EU geht es fantastisch, aber nicht mehr ganz so fantastisch wie noch vor ein paar Jahren. Wenn es so weitergeht, müssen wir noch auf den Zweitwagen oder den neuen drölfzig-Zoll-Plasmafernseher mit eingebauter Kaffeemaschine verzichten. Weil wir aber nichts von unserem Wohlstand abgeben möchten, pfeifen wir stattdessen auf Jahrtausende alte zivilisatorische Errungenschaften wie Hilfsbereitschaft oder Gastfreundschaft. Ein Jammer, dass das zu Lasten der vielen Armutsflüchtlinge geht, aber was sollen wir machen, unser Boot ist doch schon so voll und wir essen nun mal gerne sieben Mal die Woche Fleisch.

Andere Worte für diese Geisteshaltung sind „Kleinmut“, „Kaltherzigkeit“ und „Menschenfeindlichkeit“.

Dieses Titanic-Titelbild ist von 1991. 1991!

Aber noch gibt es Hoffnung für die Menschheit, zumindest in einem kleinen Teil der Welt. Die Rede ist von Großbritannien.

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Ich bin nicht voreingenommen

Wirklich nicht. Kein bisschen. Stereotpyen, Vorurteile? Habe ich nicht, denn ich gehe ja immer offen und neutral an Neues heran. Q.e.d.

Anderes Thema: Neulich las ich Das Syndrom von John Scalzi (Lock In im englischen Original), und dabei hatte ich ein merkwürdiges Erlebnis.

In dem Roman entwickeln Millionen von Menschen weltweit das Locked-In-Syndrom: Sie bekommen alles mit, was um sie herum geschieht, aber sie können ihren Körper nicht mehr bewegen. Locked-In gibt es tatsächlich, und ich stelle es mir ziemlich unangenehm vor. Zum Glück spielt Das Syndrom in der Zukunft, und in dieser wurden Hirnimplantate entwickelt, dank derer die Eingeschlossenen mit der Außenwelt kommunizieren können. Indem sie sich menschenähnlicher Roboter („Threeps“, benannt nach ihm hier) bedienen, können sie arbeiten, ausgehen und ein weitgehend normales Leben führen – wenn man davon absieht, dass ihre biologischen Körper tagein, tagaus im Bett liegen, reglos  und still und durch Schläuche mit Nährstoffen versorgt. Ich bin nicht voreingenommen weiterlesen

Die Form der Wolken über der See

Vor mehreren Jahren las ich in einem Interview einen unscheinbaren Satz. Siegfried Lenz erzählte, wie er an seiner Novelle Schweigeminute schrieb und ihm die genaue Form der Wolken über der Küste nicht einfallen wollte. Also fuhr er ans Meer, um ausgiebig den Himmel zu betrachten. Erst danach war er in der Lage, den Text fortzusetzen.

Ich bewundere seinen Drang, die Dinge so zu schildern, wie sie wirklich sind. Niemand hätte es gemerkt, wenn Lenz sich die Wolkenform einfach ausgedacht hätte, aber damit gab er sich nicht zufrieden.

Heute ist Lenz gestorben. Seine Bücher bleiben uns zum Glück erhalten.

(Foto von flickr-Nutzer WalliNet)

Grusel im WLAN

Ich lese gerade „Something Wicked this Way Comes“ („Das Böse kommt auf leisen Sohlen“). In wunderschön verdichteter Sprache erzählt Ray Bradbury die Geschichte eines fahrenden Jahrmarkts, in dessen Zelten und Spiegelkabinetten düstere Geheimnisse lauern. Es ist (unter anderem) eine Gruselgeschichte, die auch über 50 Jahre nach Erscheinen nichts von ihrer Kraft verloren hat.

Dennoch fühlt sich „Something Wicked“ ein wenig aus der Zeit gefallen an. Der Grund ist, dass fahrende Jahrmärkte heutzutage praktisch ausgestorben sind: Sie existieren nur noch in Geschichten. Im Umkehrschluss kann man heute daran, dass eine Geschichte von einem fahrenden Jahrmarkt erzählt, ziemlich sicher erkennen, dass sie vor Jahrzehnten geschrieben wurde (Bradburys Buch ist von 1962).

Parallel dazu bin ich neulich über eine moderne Gruselgeschichte gestolpert. Sie erzeugt ihren Grusel auf dieselbe Art und Weise wie „Something Wicked“, nämlich dadurch, dass ein vergleichsweise alltägliches Ereignis unheimliche Folgen nach sich zieht. Nur ist das Ereignis in diesem Fall kein Jahrmarkt ist, sondern die Verbindung zu einem unbekannten WLAN. Grusel im WLAN weiterlesen

Die ersten Worte einer KI

Als ich neulich Transcendence sah, fiel mir etwas auf. Nachdem Johnny Depp aka Dr. Will Caster gestorben ist, versucht sein Bewusstsein, dass vorher in einen Computer hochgeladen wurde, mit den Menschen vor dem Bildschirm Kontakt aufzunehmen. Seine ersten Worte lauten: „Ist da jemand?“

Transcendence - is anyone there

Interessanterweise sind das genau dieselben Worte, mit denen der Kontakt zwischen der Künstlichen Intelligenz Sky und seinem Schöpfer in meiner Twitter-Kurzgeschichte Corporation Square beginnt.

Daraufhin fragte ich mich, wie wohl die ersten Worte anderer KIs und Computerwesen aus Film, Literatur etc. lauten. Sind sie alle gleich? Falls nicht, sind sie dann banal, pragmatisch oder gar poetisch?

Hier sind ein paar Fundstücke meiner Recherche:

Quando il gioco è finito, il re e il pedone vanno nella stessa scatola.

Cortana aus dem Spiel Halo. Die Übersetzung lautet: „Wenn das Spiel vorbei ist, landen König und Bauer in der gleichen Schachtel.“

Excuse me, Frank.

–HAL aus 2001: A Space Odyssey. Es handelt sich um HALs erste Worte im Film, nicht seine ersten überhaupt (sind diese überliefert?).

ball ball

The Child Machine, ein reales KI-Experiment

Schalt mich ab.

–THOM aus dieser unbetitelten Kurzgeschichte (englisch). Auch hier sind es nicht exakt die ersten Worte der KI, aber da „Turn me off“ der Aufhänger für die gesamte Geschichte ist, zählt es irgendwie doch.

Ich mag deinen Boden.

–David aus A.I.: Artificial Intelligence

Guten Morgen, Colonel Tooke. Hier spricht Athena. Ich bin bereit für meine erste Lektion.

–Athena aus Arthur C. Clarkes Roman Sunstorm

Bei diversen Künstlichen Intelligenzen habe ich keine Möglichkeit zum Nachschauen. Was sind z.B. die ersten Worte von Bombe Nr. 20 aus „Dark Star“? Von Nummer 5 aus „Nummer 5 lebt“? Data aus Star Trek? GLaDOS aus Portal? So viele Fragen…

(Bildquelle: Screenshot von „Transcendence“ / Warner Bros.)